Beschreibung
Mathilde Ludendorff: Induziertes Irresein durch Occultlehren
Kart., 160 Seiten, zahlr. Abb., 19.-20 Tausend, ISBN 3-88202-252-3, Hohe Warte
Als Nervenärztin erkannte sie an den Gläubigen der Heils- und Okkultlehren Symptome seelischer Krankheiten: unmotivierte Stimmungsschwankungen ohne äußeren Anlaß, wie beim manisch-depressiven Syndrom; Verblödung, also massiv eingeschränkte Denk- und Urteilskraft und Halluzinationen, wie bei schizoiden Wahnvorstellungen; Willenlosigkeit, katatone Erstarrung bzw. Raserei, wie bei der Schizophrenie; Zwangshandlungen wie beim Neurotiker. Die Symptome all dieser Psychosen übertragen sich nämlich – so die These – auf den zunächst noch Gesunden durch beständiges Üben und intensives Nacheifern stumpfsinnigen und sinnwidrigen Denkens und Tuns. Soweit die Zusammenfassung der Ergebnisse M. Ludendorffs. –
Wer die Geschichte der Medizin ein bißchen kennt, der weiß, daß Begriffe wie »Irresein«, »Verblödung« und »Schwachsinn«, die uns heute kraß und unsachlich erscheinen, weil sie inzwischen aus guten Gründen durch Fremdwörter ersetzt worden sind, in ihrer inhaltlichen Bedeutung unverändert geblieben sind. Als M. Ludendorff ihre Arbeit über »Induziertes Irresein durch Okkultlehren« verfaßte, galt der Begriff »Verblödung« noch als sachgerechter medizinischer Fachausdruck. Man kann deshalb dieses Wort in einem aktuell gültigen Fachwörterbuch der Psychiatrie 13) von 1997 noch heute nachschlagen und findet dort unter: »Verblödung. In der älteren Psychiatrie häufig verwandte Bezeichnung für krankheitsbedingten Verlust der Einheit der Persönlichkeit durch Einbuße intellektueller Fähigkeiten oder emotionaler Ansprechbarkeit. Als Verblödungsprozesse wurden Epilepsie, Dementia praecox (Schizophrenie), progressive Paralyse, Arteriosklerose, senile Demenz angesehen. Die Bezeichnung [Verblödung] wird jetzt noch gelegentlich als Eindeutschung für Demenz verwendet.« – Auch die Fachkollegen M. Ludendorffs, z. B. ihr bis heute als Grundlagenforscher angesehener Lehrer Kraeplin 14), haben den Begriff Verblödung selbstverständlich verwendet, während man heute synonym die Fremdwörter Demenz oder Dementia vorzieht. Auch spricht man heute eher von Intelligenzminderung, Intelligenzstörungen oder Intelligenzdefekten als von »Blödsinn«. Trotzdem haben diese Wörter heute wie damals dieselbe inhaltliche Bedeutung, ob Verblödung oder Demenz, gemeint sind: Hemmungen und Störungen des logischen Denkens, der Urteilsfähigkeit und des Gedächtnisses, die nicht etwa angeboren sind, sondern im Verlauf des Lebens (im Zuge endogener Psychosen) entstehen. Bei angeborener Intelligenzstörung sprach man in der älteren Psychiatrie dagegen von »Schwachsinnigkeit«. Kraeplin verwendete diesen Begriff, bis er selbst es vorzog, ihn durch den Sammelbegriff Oligophrenien zu ersetzen, der verschiedenen Grade von verminderter Intelligenz zusammenfaßt. Dennoch blieb aber z. B. für eine Oligophrenie/Schwachsinnigkeit schwersten Grades der Begriff »Idiotie« erhalten. Während noch M. Ludendorff von »religiösem Wahn« sprechen konnte, muß man heute unter dem Wort Theomanie nachschlagen. Aber immerhin findet man den Begriff »Induziertes Irresein« noch heute in jedem medizinischen Wörterbuch. Es handelt sich nämlich nicht um eine Sprachschöpfung M. Ludendorffs, sondern um ein medizinisches Phänomen, das von Kraeplin beschrieben und begrifflich geprägt wurde. Selbst das Wort »Irresein« war ja bis weit ins 20. Jahrhundert hinein ein gebräuchlicher Oberbegriff für alle psychischen Krankheiten. 15) Inzwischen muß man von »Psychosen« sprechen, wenn man nicht würdeverletzend sein will. Dennoch hat sich das Wort Irresein bis heute in dem feststehenden Fachausdruck »induziertes Irresein« erhalten, der sogar immer noch häufiger verwendet wird als seine moderneren Synonyme folie á deux, symbiotische Psychose oder Induktionspsychose. – Insgesamt soll hier also gesagt sein: Es ist historisch bedingt, wenn die Ausdrucksweise in dem Buch uns heute befremdet. Soetwas sagt noch nichts über die inhaltliche »Aktualität« einer Arbeit aus, denn schließlich genießen auch die Arbeiten eines Kraeplin bis heute Anerkennung. Was einem Laien gegenwärtig an der Wortwahl älterer Fachliteratur stören mag, ist in Wirklichkeit die zeitgenössisch fachgerechte Begrifflichkeit. Wie sehr M. Ludendorff um fachgerechtes Arbeiten bemüht war, entnimmt man einer Fußnote, in der sie zum Begriff »Paranoiker« anmerkt: »Die lateinischen Namen der verschiedenen Krankheiten müssen der Richtigkeit der Darstellung wegen beibehalten werden.« 16) – Nicht zuletzt müssen wir uns an diesem fachlichen Bemühen ein Beispiel nehmen und hier ebenfalls die heute gültigen lateinischen Fachbegriffe verwenden, wenn wir uns nun mit den gesundheitlichen Risiken der Meditation befassen.
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