Weltordnungskrieg: Das Ende der Souveränität und die Wandlungen des Imperialismus im Zeitalter der Globalisierung

19,80

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Artikelnummer: Horlemann/Prolit Kategorie:

Beschreibung

  • Taschenbuch: 447 Seiten
  • Verlag: Horlemann; Auflage: 1 (1. Januar 2003)
  • Sprache: Deutsch
  • ISBN-10: 3895021490
  • ISBN-13: 978-3895021497

 Kurzbeschreibung
Die Krise des Weltsystems und die neue
Begriffslosigkeit Soweit in einer Zeit, in der das herrschende System
keiner Legitimation mehr zu bedürfen scheint, überhaupt noch reflexiv
gedacht wird, wirkt dieses Denken merkwürdig anachronistisch. Das gilt
nicht nur für den aktuellen Inhalt, sondern auch für die Kategorien
selbst, in denen dieser Inhalt sich darstellt. Wie es in wachsendem
Umfang neue und schreiende soziale Gegensätze gibt, die sich aber nicht
mehr mit eindeutigen soziologischen Modellen oder Klassenbegriffen
erklären lassen, ebenso sind neue globale Wirtschaftskonflikte,
Kulturkämpfe und Kriege zu beobachten, die nicht mehr in den bisherigen
Begriffen der Wirtschafts-, Innen- und Außenpolitik beschrieben werden
können. Zwar nimmt die seit Anfang der 90er Jahre (ungefähr zeitgleich
mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion) geführte sogenannte
Globalisierungsdebatte eine ganze Reihe neuer Phänomene wahr, die
jedoch durch das alte kategoriale Raster gefiltert werden, weil kein
anderes begriffliches Bezugssystem zur Verfügung steht.

So stellt man
einerseits einen Bedeutungsverlust der Politik und einen
Souveränitätsschwund der Staaten fest, drückt diese empirischen
Erscheinungen andererseits gleichwohl immer noch in herkömmlichen
Begriffen der Politik und der staatlichen Beziehungen aus. Damit hängt
zusammen, dass eine Orientierung, soweit sie überhaupt noch versucht
wird, vornehmlich rückwärtsgewandt ist, nämlich als Hoffnung auf und
Konzeptheckerei für irgendeine „Wiedergewinnung des Politischen“; und
auch deswegen erweist sich die Sichtweise des Neuen als
phänomenologisch beschränkt, während der Begriffsapparat der alte
bleibt und krampfhaft festgehalten wird. Das zeigt sich nicht zuletzt
auf der Ebene der internationalen oder zwischenstaatlichen
Verhältnisse, wenn ebenso vollmundig wie unangemessen von einer
„Weltinnenpolitik“ die Rede ist. Diese besonders in
grün-sozialdemokratischen Kreisen beliebte und besinnungslos
heruntergebetete Phrase beweist ganz unmittelbar, dass hier eine bloße
Projektion alter bürgerlicher Begriffe auf eine unverstandene neue
Entwicklung stattfindet.

Dabei drängt sich die Parallele zur Debatte um
die Krise der Arbeitsgesellschaft auf. Auch in dieser Hinsicht wird
ständig das Neue der Erscheinungen betont, während die Arbeitskategorie
selber als stummes A priori geradezu tabuisiert bleibt und sämtliche
Konzepte oder gar Heilsbotschaften auf die Erhaltung dieser Kategorie
in irgendeiner Form und nahezu um jeden Preis hinauslaufen. Die
Analogie in der Vorgehensweise verweist auf den inneren Zusammenhang
der beiden Komplexe: Die Krise der Weltarbeit und die Krise der
Weltpolitik stellen nur verschiedene Aspekte ein und desselben
weltgesellschaftlichen Prozesses dar. Solange der Kalte Krieg als
Systemkonflikt zwischen zwei ungleichzeitigen Erscheinungsformen bzw.
Entwicklungsstufen des modernen warenproduzierenden Systems tobte,
überlagerte er ein tiefer liegendes Problem, das auf diese Weise
verborgen blieb. Unter der Oberfläche des Kalten Krieges bildete sich
eine globale prozessierende Krisenstruktur aus, die mit dem
Zusammenbruch des Staatskapitalismus schlagartig ans Licht trat, jedoch
unter dem Eindruck der Nachkriegsgeschichte nur ideologisch verzerrt
wahrgenommen werden konnte. Was als „Sieg“ des westlichen Kapitalismus
erschien, entpuppte sich im Verlauf der 90er Jahre als irreversibler
sozialökonomischer Zusammenbruch zunächst von großen Teilen der
Peripherie des Weltmarkts. Im Zentrum dieses Krisenprozesses steht das
Abschmelzen der reellen (real Wert bildenden) kapitalistischen
Arbeitssubstanz durch die dritte industrielle Revolution, die
zunehmende „Ausbeutungsunfähigkeit“ des Kapitals aufgrund seiner
eigenen technologischen Produktivitätsstandards und damit die
Entsubstantialisierung des Geldes (Entkoppelung der Finanzmärkte von
der Realökonomie).

Diese innere Logik der Krise wirkt sich jedoch nicht
nur als Strukturbruch auf der Ebene der Weltmarktbeziehungen aus
(Globalisierung des Kapitals), sondern auch als Strukturbruch auf der
Ebene des weltpolitischen Systems (Ende der Souveränität und des
Völkerrechts). Was unter dem Rubrum der Globalisierung als
weltumspannender positiver und zukunftsmächtiger Wandel verkauft wird,
lässt sich in dieser Hinsicht längst als Zersetzungsprozess der
herrschenden Produktions- und Lebensweise dechiffrieren, die in einen
schrumpfenden globalen Minderheitskapitalismus einerseits und dessen
Barbarisierungsprodukte andererseits zerfällt. Dabei kann der dem
Kapitalverhältnis immanente strukturelle Widerspruch von Staat und
Markt bzw. von Politik und Ökonomie sowohl auf der Ebene der
Nationalstaaten als auch auf der Ebene des Weltsystems nicht mehr
ausgehalten werden. Was sich innenpolitisch als Austrocknungsprozess
der staatlichen Souveränität darstellt, erscheint außenpolitisch als
Verfall der internationalen Beziehungen. Auf beiden Ebenen gerät die
Vermittlung des Widerspruchs ins Schwimmen. Zwar bestehen die
Nationalstaaten als formale Hüllen und als (zunehmend repressiv in der
Krisenverwaltung agierende) Apparate weiter, aber ihrer kohärenten
nationalökonomischen Grundlagen beraubt. Umgekehrt wachsen die
transnationalen Kapitale und ihre Märkte zwar über das bisherige
nationale und internationale Bezugssystem hinaus, zerstören aber gerade
dadurch zunehmend ihre eigenen Rahmenbedingungen. So entstehen
unkontrollierte und unkontrollierbare Verlaufsformen, in denen die
unheilbaren Selbstwidersprüche des Weltkapitals kulminieren.

Es ist
nicht nur eine allgemeine Denkfaulheit, die es verhindert, dass eine
den neuen Phänomenen entsprechende neue Begrifflichkeit entwickelt
wird. Denn es handelt sich bei den in Frage stehenden Begriffen von
Nationalökonomie, Nationalstaat, nationaler Innen- und Außenpolitik
bzw. einer darauf beruhenden nationalen Interessen- und
„Einfluss“-Politik (Imperialismus) nicht um Ausdrücke einer bestimmten
vorübergehenden Entwicklungsstufe, sondern ähnlich wie beim Begriff der
Arbeit um Grundkategorien des modernen Gesellschaftssystems selbst, und
zwar in allen seinen Variationen. Die neuen Phänomene sind
Krisenphänomene neuen Typs, weil sie in keinen höheren Aggregatzustand
der bürgerlichen, über die Warenproduktion vermittelten
Vergesellschaftung mehr führen, sondern deren eigene kategoriale Krise
bilden. Deshalb kann die Entwicklung auch nicht mehr vom Standpunkt der
bestehenden Weltordnung aus bestimmt werden, sondern nur unter dem
Gesichtspunkt von deren Selbstzerstörung. Genauer gesagt: Es gibt gar
keine positive, tragfähige „Entwicklung“ auf diesem gesellschaftlichen
Boden mehr. Das bedeutet, dass in die Analyse zusammen mit dem Verfall
der zugrunde liegenden gesellschaftlichen Beziehungen auch der Zerfall
der Begriffe mit eingehen muss, in denen diese Ordnung sich darstellt.
Und in diesem Sinne sind nicht nur die Begriffe des ökonomischen,
sondern auch die Begriffe des politischen Weltsystems obsolet.

Die
verheerenden Terroranschläge gegen die USA am 11. September 2001 haben
buchstäblich blitzartig deutlich gemacht, was längst vorher absehbar
gewesen ist: Die weltumspannende gesellschaftliche Vernetzung nicht
über bewusste Vereinbarungen und durch menschliche Selbstbestimmung,
sondern über die blinden Gesetze der Konkurrenz und der Finanzmärkte
bringt nicht nur neuartige strukturelle Krisen hervor, sondern auch
ebenso neuartige subjektive Hass- und Vernichtungspotentiale, in denen
sich die Zersetzung der bürgerlichen „politischen Subjektivität“
darstellt. Der Schlaf der Vernunft gebiert Ungeheuer, die „unsichtbare
Hand“ eines losgelassenen totalitären Ökonomismus schlägt ebenso
erbarmungslos zu wie die andere „unsichtbare Hand“ einer blinden
„postideologischen“ und „postpolitischen“ Wut, deren pseudo-religiöses
Gestammel unfreiwillig beweist, dass sich jede rationalistische
Legitimation der sogenannten „Modernisierung“ restlos erschöpft hat.
Die Ratio der warenproduzierenden, auf der unendlichen Verwertung als
Selbstbewegung des Geldkapitals beruhenden Weltgesellschaft ist selber
jener Schlaf der Vernunft. Aber diese zum „Pragmatismus“
herabgesunkene, also zur kritischen Reflexion und Selbstreflexion nicht
mehr fähige moderne Rationalität eines irrationalen Selbstzwecks kann
und will ihre Grenzen nicht sehen, und so macht sie einfach stur weiter
und versucht, ihre eigenen Dämonen als ein fremdes und äußeres
„Sicherheitsproblem“ zu definieren.

Der unaufhaltsame Zerfall der
Ökonomie soll mit ökonomischen, der ebenso unaufhaltsame Zerfall der
Politik mit politischen Mitteln aufgehalten werden. Die Weltherrscher
des Kapitals begreifen ihre eigene Welt nicht mehr. Um das scheinbar
Unbegreifliche dennoch begreifen zu können, ist es notwendig, in
krassem Gegensatz zur pragmatischen Ideologie der herrschenden
Funktionseliten, die heute in Wahrheit nur noch den totalitären
Anspruch der Ökonomie an der Welt exekutieren, den ganz und gar nicht
modischen Standpunkt radikaler Distanz und Kritik einzunehmen. Erst aus
dieser Position ist es möglich, die Zersetzungs- und
Selbstzerstörungsprozesse des Weltsystems als solche zu erkennen, die
Zusammenhänge in ihrer historischen Dimension aufzurollen und
gleichzeitig als aktuell erscheinende Grenze der kapitalistischen
Dynamik zu dokumentieren.

Der Kampf um die kapitalistische Weltherrschaft ist längst entschieden.
Unter dem Dach der Pax Americana hat sich seit dem Zweiten Weltkrieg
ein neues, nach dem Untergang des östlichen Staatskapitalismus
vereinheitlichtes Weltsystem entwickelt. Die betriebswirtschaftliche
Globalisierung macht den alten nationalimperialen Kampf um territoriale
Einflußzonen gegenstandslos. Auf der Ebene staatlicher Gewalt bildet
die Militärmaschine der letzten Weltmacht USA den konkurrenzlosen und
uneinholbaren Garanten dieser herrschenden planetarischen Ordnung.
Aber durch den Quantensprung der dritten industriellen Revolution wird
gleichzeitig die Mehrzahl der Menschheit außer Kurs gesetzt; eine
Weltregion nach der anderen erweist sich als kapitalistisch
reproduktionsunfähig. Wie ein Schatten folgt der Globalisierung des
Kapitals ein Prozeß sozialer Zerrüttung, moralischer Verwilderung und
gesellschaftlicher Paranoia, der in eine substaatliche Terror- und
Plünderungsökonomie mündet. Diese anwachsende Systemkrise wird von den
westlichen Funktionseliten stur geleugnet. An die Stelle des einstigen
Machtkampfs zwischen Nationalstaaten tritt der perspektivlose
Weltordnungskrieg des in der NATO vereinigten „ideellen
Gesamtimperialismus“ gegen seine eigenen Krisengespenster in der
Gestalt von Schurkenstaaten, Gotteskriegern und Ethnobanditen. Dieser
Krieg wird verloren in demselben Maße, wie die gesellschaftliche
Zersetzung auch in den westlichen Zentren selbst fortschreitet und das
Gesamtsystem an seinen inneren Widersprüchen erstickt.

Autorenportrait
Robert Kurz, 1943 geboren,
lebt als freier Publizist, Journalist und Referent im Kultur- und
Wirtschaftsbereich in Nürnberg. Er ist Mitherausgeber der
gesellschaftskritischen Theoriezeitschrift ‚Krisis‘.