Wodan und germanischer Schicksalsglaube

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Beschreibung

von Martin Ninck
357 Seiten, 8 Bildtafeln, Armanen Verlag, 1935, Reprint Adolf Schleipfer

Der Schicksalsgedanken ist das Herzstück unserer germanischen Mythologie und uns geradezu seelenvererbt. Er begleitet uns bis in unsere Tage. Das Schicksal gilt in unserem Weltverständnis als Gesetz des Daseins, das dem geordneten System des Weltalls zu Grunde liegt und dem auch die Götter unterworfen sind.

Schicksal

Es gibt vor allem zwei Begriffe, die man hier nennen und unterscheiden muß. Das ist zum einen Ørlœg / Urlag und zum anderen Wyrd / Wurt / Urðr.

Ørlœg ist der übergeordnete Begriff. Er umschreibt die „Weltseele“ oder – neutraler – das Urgesetz. Dieses Gesetz gibt die natürliche Ordnung der Dinge vor, aber auch die sittliche bzw. magisch-rituelle Ordnung. Selbst die Gottheiten sind diesem Weltgesetz untergeordnet – deswegen – so kann man vermuten – steht auch in der Völuspa, daß die Götter einen Altar errichteten! Ørlœg ist der Urgrund der Dinge, das letzte Geheimnis, das, was die Welt (hier: alle Welten) im Innersten zusammenhält, die Mechanismen, nach denen die Welt funktioniert. Aus der östlichen Philosophie gibt es zwei Begriffe, die dem Ørlœg entsprechen: Tao und Dharma. Aus diesen zugrundeliegenden Ursachen entwickelt sich dann das Wyrd (siehe unten).
Wichtig ist, daß Götter und Menschen, ja alles im Universum dem Ørlœg unterworfen ist. Es ist die unpersönliche, aber sinnvolle Verbundenheit aller Dinge untereinander, der große Plan, sozusagen. Man kann sich das als großes Netz vorstellen, als ein Gewebe mit Knotenpunkten, das einer Landkarte ähnelt und damit das Grobraster vorgibt. Das Individuum ist natürlich ins Gewebe eingebettet, was man sich aber nicht so vorstellen darf, als gäbe es keine individuelle Handlungsfreiheit. Man könnte vielleicht sagen, daß die Knotenpunkte feststehen, so z.B. die Geburtssippe. In diesem Zusammenhang ist zu erwähnen, daß es die Vorstellung gab, daß zum Zeitpunkt der Geburt eine Norne zum Kind kommt und ihm sein persönliches Schicksal zuteilt. Man kann davon ausgehen, daß die Nornen maßgeblich mit dem Begriff des Ørlœg verbunden sind. In diesem Sinne muß hier erwähnt werden, daß der Begriff Ørlœg in den Texten häufig als „persönliches Schicksal“ benutzt wird. Ich assoziiere damit eher den folgenden Begriff des Wyrd. Man kann natürlich sagen, daß das persönliche Schicksal in den „großen Plan“ eingebunden ist – niemand steht außerhalb! Von daher ist die Verbindung von Weltseele und dem Individuum als Teil davon unproblematisch.

„Das germanische Sippengefühl gipfelt im Ahnendienst. Hier liegen die Urkräfte, aus denen die Sippe weiterlebt. Hier quillt in nie versiegender Fülle das Leben aller künftiger Geschlechter hervor … Im Augenblicke des Todes gilt aber ebenfalls, daß der Mann durch den Einsatz seines Lebens der Sippe eine gesteigerte Kraftfülle angedeihen lassen soll, damit sie ungeschwächt weiterbestehe. Wer für die Seinen stirbt, hat Herbert Cysarz in seinem schönen Buch ’Das Unsterbliche’ gesagt, der lebt nicht nur in ihnen fort; der fügt sich auch in das große Gesetz, das sich hier zugleich setzt und erfüllt, und wer sein Blut vergießt um des Dienstes, der Treue willen, besiegelt den Bund seines Lebens mit der unzerstörbarsten Seinsgewißheit.“
de Vries

Anders verhält es sich mit dem Begriff Wyrd (altengl. für ’Schicksal’) (althochdts. ’wurt’, altnord. ’urðr’), der eben dieses persönliche oder sippenbezogene Schicksal bezeichnet. Er ist ebenfalls oft mit einem östlichen Konstrukt verglichen worden, nämlich dem Karma. Das kann man schon aus dem Namen erklären: Wyrd / Urd ist die älteste der Nornen, diejenige, die für die Vergangenheit – genauer: das Gewordene – steht. Das Gewordene aber ist das, was Bestand hat und worauf man bauen kann bzw. muß. Ist man in eine Sippe von Kriminellen geboren worden, dann muß man gegen dieses Wyrd ankämpfen.
Auch Gundarsson assoziiert Wyrd mit dem Karma und schreibt, daß „weird is that pattern which the actions of your ancestors and previous lifetimes have shaped for your own life“. Allerdings halte ich diese Individuen-Bezogenheit nicht für glücklich ausgedrückt. Ich denke, das Wyrd kommt dem Hamingja nahe, wenn man es als „Sippenglück“ deutet.
Das Wyrd muß dem Individuum nicht verborgen bleiben, es kann sich als unbewußtes, apriorisches Wissen im Rahmen der Synchronizität offenbaren (Verweis zu Zitat).

Etwas muß man aber deutlich dazu sagen: Inwieweit die lebensfadenspinnenden Nornen tatsächlich zur „Alltagswelt“ der Germanen gehörte, ist sehr fraglich. Es muß doch von einem größeren Unterschied zwischen literarischer Ausgestaltung und Alltag ausgegangen werden: „Germanischer Schicksalsglaube [ist] kaum mehr als ein Phantom moderner Germanen-Ideologie“ (K. von See, in Holzapfel)

„’Es ist die Heilige Nacht … Trinken wir also das Gedächtnis der Toten’ murmelte er. Er setzte den Becher an die Lippen. Darauf reichte er ihn Dag … ’Ich trinke das Gedächtnis der Toten’, sagte [dieser] dann feierlich … Der Fremde füllte ihn zum dritten Male … ’Und nun?’ fragte er. Seine Stimme klang noch dunkler als zuvor.
’Das Gedächtnis Jesu Christi?’ Dags Stimme suchte und zögerte … Der Mann stand regungslos … ’Das Gedächtnis der Toten haben wir getrunken’, antwortete er schließlich in hartem Ton. Dag sah ungewiß zu ihm auf.
’Trinke für mich!’ sagte der Mann.“
Odin zu Dag, in: Verhagen

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