Die Singschwäne aus Thule (Roman)

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Beschreibung

Frakturschrift, ca. 324 Seiten, antiquarisches Exemplar

Ebenfalls eng der Hörbigerschen Glazial-Kosmogonie verbunden ist Rudolf
Brunngrabers Roman „Die Engel in Atlantis“ (1938), in dem die Insel
Atlantis infolge einer Sintflut untergeht, die in der „Auflösung“ des
Erdenmondes ihre Ursache hat. Der bei weitem gewichtigste und
umfangreichste literarische Beitrag zum Themenkomplex
Welteislehre/Atlantis stammt jedoch von Edmund Kiß. Der 1886 geborene
Architekt und Baurat war Leiter des Preußischen Hochbauamtes und zählt
zu den nachdrücklichsten Propagandisten der Welteislehre. 1933
veröffentlichte er ein einschlägiges Sachbuch mit dem umständlichen
Titel „Die oft verlästerte, von vielen gepriesene, von manchen schon
vernichtete, aber zäh und kampfbereit weiterlebende Welteislehre, allen
Gelehrten und Ungelehrten, vorzüglich aber unbefangenen und jugendlichen
Gemütern, so diesen Wahnsinn selbst verdammen wollen, oder aber diese
neue Offenbarung ehrfürchtig und dankbar in sich aufzunehmen trachten,
nach Hanns Hörbigers Lehre dargestellt.“ Er unternahm zahlreiche
Forschungsexpeditionen, um die Richtigkeit von Hörbigers Theorien unter
Beweis zu stellen. Diese Reisen fanden ihren Niederschlag einerseits in
Jugendbüchern wie „Schwarze Felsen am Pazifik – Abenteuer-Geschichte aus
dem heutigen Peru“ (1930), andererseits aber auch in den Sachbüchern
„Die kosmischen Ursachen der Völkerwanderungen“ (1934) und „Das
Sonnentor von Tihuanaku und Hörbigers Welteislehre“ (1937).

 

Darüber hinaus versuchte Kiß in verschiedenen Artikeln, die überwiegend
im SS-Organ Germanien erschienen, einen Zusammenhang zwischen dem
Germanentum und dem Welteis herzustellen. Zusammen mit Alfred Hörbiger,
einem der Söhne Hanns Hörbigers, und mehreren Wissenschaftlern, darunter
Hermann von Hase und Philipp Fauth, gehört Kiß zu den Unterzeichnern des
1936 verfassten so genannten „Pyrmonter Protokolls“, in dem als Ziel
formuliert wurde, Hörbigers Glazial-Kosmogonie, „das geistige Geschenk
eines Genies“, unter der Schirmherrschaft Heinrich Himmlers weiter zu
entwickeln. Der erste einer Tetralogie von Kiß‘ Atlantis-Romanen
erschien 1930, er trägt den Titel „Das gläserne Meer“ und ist „dem
Manne, der mir einen neuen Himmel und eine neue Erde gab, Hanns
Hörbiger“ gewidmet. In enger Anlehnung an dessen Weltbild wird darin der
Absturz des ersten Tertiärmondes (des titelgebenden „gläsernen Meeres“)
und die daraus resultierende Flutwelle geschildert. Dass sich der Roman
in den Prophezeiungen des Protagonisten Jochaan an die Offenbarung des
Johannes anlehnt, ist, so der „Welteisforscher“ Hans Wolfgang Behm im
Nachwort, „kein billiger Zufall, sondern ankert in der Ausbeutung
altüberlieferter Texte und Mythen im Sinne der Welteislehre“. „Frühling
in Atlantis“ (1933) erzählt von einer zweiten Blütezeit des atlantischen
Reiches unter der Führung des „Reichskönigs“ Warager Ase Torgaard. Die
Gegenwartsbezüge sind in diesem Roman, wiewohl auch er in
zehntausendjähriger Vergangenheit angesiedelt ist, nicht zu übersehen.
Torgaard widmet sich der Aufzucht „reinrassiger nordischer Menschen“,
womit sich die „Dunklen“, die neben der nordischen Elite die Mehrheit
der atlantischen Bevölkerung bilden, nicht mehr abfinden möchten. Der
Konflikt mündet in der Ermordung des Helden Baldur Ase Wieborg aus
Thule. Man kann den Roman eindeutig als Warnung vor der rassischen
Überfremdung Deutschlands ansehen. „Die letzte Königin von Atlantis“
(1931), vor „Frühling in Atlantis“ erschienen, in der Chronologie der
Tetralogie aber danach anzusiedeln, schildert, wie der heutige Erdmond
von der Erde eingefangen wird, was abermals ungeheure Flutkatastrophen
auslöst, denen das Inselreich Atlantis schließlich zum Opfer fällt,
worauf die Reste der „nordischen Herrenrasse“ der atlantischen
Hochkultur sich auf die peruanische Hochebene von Aztlan retten. Im
Abschlussband „Die Singschwäne aus Thule“ (1939) treten die Überlebenden
den Versuch an, unter dem „blauen Banner mit dem silbern gehakten Kreuz“
in ihre nordische Heimat zurückzukehren, wo nun unter dem neuen Erdmond
statt ewigen Frühlings winterliche Kälte herrscht. Einige dieser
Eroberer gelangen bis nach Griechenland, wo sie tatkräftig daran
beteiligt sind, die griechische Hochkultur aufzubauen, die wir heute
kennen.

 

Letztlich reflektieren Kiß‘ Romane mit ihren Eroberungsphantasien die
aggressiv expansionistische Politik Deutschlands während des Dritten
Reichs und nähren einmal mehr den Mythos vom „Volk ohne Raum“. In „Die
Singschwäne aus Thule“ liest sich das so: „Die Erde hat einst den
Nordleuten gehört, nun sind sie zerschlagen und zerschellt und irren am
Eisrand von Thule, wie die Singschwäne ihrer Heimat. Doch die Lanze der
Seele zielt immer noch nach Gipfeln und Höh’n. In der tiefsten Not sind
sie entschlossen, der Erde erneut den Runddruck ihrer Seelen
aufzuprägen.“ In einer Rezension des Romans in der literarischen
Monatsschrift Die Literatur (Juni 1932) bescheinigt Artur Brausewetter
dem Verfasser: „Seine Liebesgeschichte aus sagenhaft fernen Zeiten ist
mit den Augen des Poeten gesehen, mit dem Herzen des Poeten
geschrieben“, was man getrost als opportunistische Jubelrezension abtun
kann, immerhin hatte Kiß es durch seine Verdienste um die Welteislehre
als Mitglied des „Ahnenerbes“ zum Scharführer der SS gebracht. Etwas
mutiger gibt sich Martin Kießig in einer Besprechung von „Frühling in
Atlantis“ in Das deutsche Wort vom 8. Juni 1934: „Der dichterische Wert
des Buches ist ungleichmäßig“, urteilt er, kommt dennoch zu dem
Ergebnis: „Im Ganzen darf das Werk (.) als interessanter
Unterhaltungsroman angesprochen werden“, lässt es sich dann aber doch
nicht nehmen, unter der Überschrift „Literarische Schreckenskammer“ in
einigen Zitaten aus dem Roman Sprachschwulst und Stilblüten vorzuführen.
Dass Kiß auch heute noch ein hohes Maß an Bewunderung zukommt, mag eine
in Sonnenwacht – Briefe für Heiden und Ketzer, Nr. 11, Lenzing 2000
(Lenzing ist der dritte Monat des Jahres, entspricht also dem März)
veröffentlichte Reminiszenz belegen, die eine Begegnung mit Kiß in einem
amerikanischen Kriegsgefangenenlager aus dem Jahr 1946 schildert:
„‚Edmund Kiß!‘ – Das war doch der Schriftsteller, der mir mit dem edlen
Gehalt seiner Romane so unendlich viel gegeben hatte. Der damit die
Einstellung vieler junger Menschen bestimmte und auch heute noch bei all
jenen, die sich ihre Anständigkeit bewahrt haben, Saiten zum Klingen
bringt! Ich konnte es kaum erwarten, bis die Reihe an mich kam, und ich
zu ihm hinübergehen durfte. Zweifel packte mich, ob es sich nicht um
eine zufällige Namensgleichheit handeln würde, oder dass ich mich
verhört haben könnte. Doch es stimmte. Es war der Architekt Edmund Kiß,
Strandlinienforscher und Dichter, der seinerzeit einen der bedeutendsten
Literaturpreise des Deutschen Reiches erhalten hatte. Edmund Kiß, der
SS-Obersturmbannführer, zeitweiliger Kommandant der Wachmannschaft des
Führerhauptquartiers, der sich mit der Erforschung der Strandlinien von
Tibesti in der Sahara und in den Hochkordilleren in Südamerika einen
Namen gemacht hatte; Edmund Kiß, der Verfechter der Welteislehre des
Wiener Gelehrten Hanns Hörbiger, der Sänger des untergegangenen Reiches
Atlantis.“