Das Multilaterale Abkommen über Investitionen ( MAI) und die Herrschaft der Konzerne

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Artikelnummer: antiquarisch Kategorie:

Beschreibung

antiquarisches Restexemplar in gutem Zustand!

  • Broschiert: 202 Seiten
  • Verlag: Dtv (August 2002)
  • Sprache: Deutsch
  • ISBN-10: 3423361328
  • ISBN-13: 978-3423361323

Das umstrittene Welthandels-Abkommen

"MAI"

Kommt die

Diktatur der Konzerne?

 

Dass
Staaten immer weniger Bedeutung haben, Konzerne dafür immer mehr,
scheint eine unaufhaltsame Entwicklung. Dem soll auch das
Welthandels-Abkommen MAI dienen, das investierenden Konzernen in
Dritte-Welt-Ländern ungeahnte Rechte einräumt, den Staaten jedoch kaum
welche.
Ein Abkommen zum Schutz

von Investitionen im Ausland sollte es werden. Was aber daraus wurde, war ein

Vertragsentwurf, der ausländischen Firmen ungeahnte Rechte einräumt, den Staaten aber,

in denen sie investieren, geradezu alle Rechte nimmt. Dass der Vertrag bislang nicht

unterzeichnet werden konnte, liegt an den Protesten einiger aufmerksamer Beobachter,

hauptsächlich aus den USA und Kanada.

 

Worum handelt es sich bei diesem offensichtlich heißen Eisen? Es ist das

MAI, das Multilaterale Abkommen über Investitionen. Betrachtet man die

Geschichte des MAI, kann man leicht zu dem Schluss kommen, unsere und die Demokratie

anderer Länder sei nur Fassade vor der zunehmenden Machtfülle international agierender

Konzerne.

 


"Rücktransfer"

von Erträgen

 

Bereits vor mehr als 20

Jahren versuchten einige Industriestaaten und Entwicklungsländer, Rahmenbedingungen für

internationale Investitionen zu schaffen. Investierenden Firmen sollte damit

beispielsweise Schutz vor möglichen Willkürakten gewährt oder auch der Rücktransfer

von Erträgen garantiert werden. Derartige allgemeingültige und verbindliche Richtlinien

hätten hunderte von bilateralen Investitionsschutzabkommen überflüssig gemacht.

 

Die damaligen Verhandlungen führten zu keinem
Abschluss, bereiteten aber

den Weg für Leitsätze des Internationalen Währungsfonds IWF auf diesem Gebiet. Jedoch

wollten die Industrieunternehmen keine "Leitsätze", die im Einzelfall

möglicherweise nicht durchsetzbar sind, sondern ein für alle Staaten rechtlich

verbindliches Abkommen. Die Verhandlungen scheiterten am Widerstand der

Entwicklungsländer.

 

Die Gespräche wurden alsdann auf eine andere Ebene verlegt, und zwar auf

die der OECD (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung). Unter den

29 ihr zugehörenden Staaten sind alle Industrienationen vertreten, aber nur wenige arme

Länder. Es konnten also nicht so viele hineinreden. Neun Beobachterländer waren

zugelassen, darunter China und Brasilien, nicht aber Russland und Indien. Ganz Afrika

fehlte. Unter strenger Geheimhaltung, und zwar so, dass nicht einmal die Parlamente der

wichtigsten OECD-Staaten informiert wurden, entstand der Entwurf zum MAI, dem

multilateralen Abkommen über Investitionen.

 

Als der Text durch Indiskretion bekannt wurde, platzte eine Bombe. In den

USA, in Frankreich, Kanada und Neuseeland begannen öffentliche Diskussionen über ein

Vertragswerk, das ganz offensichtlich Empfängerländer zum Vorteil der investierenden

transnationalen Firmen knebeln sollte. Die nicht unterrichteten Parlamentarier

entrüsteten sich. Die deutsche Regierung, die den Vertragstext zunächst nicht einmal

übersetzen lassen wollte, war mit der Weitergabe des Textes an den
Wirtschaftsausschuss

um Monate langsamer als andere.

 

Wer diktiert die Arbeitsbedingungen?

 

Von privater Hand wurde der Abkommensentwurf, mit Erläuterungen und

kritischen Beiträgen versehen, einer größeren Öffentlichkeit zugänglich gemacht
(1)
. Der Text ist schwierig bis langweilig zu lesen, und ohne

entsprechende Hinweise des Herausgebers ist der Nichtfachmann kaum in der Lage, die

Absicht hinter dem Vertrag zu erkennen. Vordergründig ist es ein löbliches Unterfangen,

ein für alle mal Regeln für Investitionen im Ausland zu schaffen und somit das

mühselige, immer wiederkehrende Aushandeln von Verträgen überflüssig zu machen.

 

Wenn hinter den Paragraphen aber nichts als das Streben internationaler

Konzerne nach noch mehr Macht steht, dann sind die demokratischen Parlamente aufgerufen,

dieses Vertragswerk zu verhindern.

 

Das MAI in seiner jetzigen Entwurfsform bringt dem Investor

größtmögliche Freiheiten, und es greift weit in bestehende staatliche Ordnungen und

sogar in Souveränitätsrechte ein.

 

Ein Beispiel mag dies erläutern: Eine Firma rodet im kenianischen oder

auch thailändischen Urwald, um Holz für Wohnzimmermöbel nach Europa zu exportieren.

Endlich fällt es dem Land ein, durch Umweltgesetze die Urwaldrodung zu begrenzen, und

diese Gesetze auch durchzusetzen. Dann könnte die Rodungsfirma das Land wegen

"indirekter Enteignung" verklagen, da sich die eingeplanten Gewinne nicht

realisieren lassen. Dafür ist im MAI ein geheim tagendes Schiedsgericht vorgesehen, gegen

dessen Urteil keine Berufung möglich ist. Das Urteil ist vertraulich und darf Dritten

nicht zugänglich gemacht werden.

 

Das Schiedsgericht selber hat mit den ordentlichen Gerichten der

Länder nichts zu tun. Die normale Gerichtsbarkeit ist also ausgeschaltet, und der

Empfängerstaat ist seiner grundlegenden Rechte beraubt.

 

Ein Land, das vom MAI zurücktreten will, muss eine 5jährige

Kündigungsfrist beachten. Und auch dann gilt das Abkommen 15 Jahre lang für die bis

dahin getätigten Investitionen weiter. Das Land wäre also mindestens 20 Jahre lang

gebunden.

 

Was im MAI geregelt ist, steht über den Regelungen von Einzelstaaten, und

zwar auf allen Regierungsebenen, angefangen von der Bundes- bis hinunter zur

Kommunalebene. Kein Land könnte also Gesetze erlassen, die anders sind, als das MAI es

wünscht. Gesetze, die dem MAI widersprechen, werden ungültig. Zwar zieht das MAI

bestehende internationale Umweltverträge mit ein, aber ohne rechtliche Verbindlichkeit.

 

Seitenweise ließen sich die Ungerechtigkeiten für die

Empfängerländer aufführen. Da die Industrieländer selber ebenfalls Empfängerländer

für ausländische Investitionen sein können, haben einige von ihnen von der Möglichkeit

Gebrauch gemacht, für sich selbst Ausnahmeregeln zu definieren. Deutschland
fasste seine

Ausnahmewünsche auf neun Seiten zusammen, Kanada listete 80 Seiten auf, und die USA

brauchten sogar 309 Seiten. Die Listen sind zwar geheim, aber es zeigt sich der Menge nach

ein starkes Ungleichgewicht zugunsten der nordamerikanischen Staaten.

 

Wie gesagt: Die MAI-Regeln wurden durch die OECD geschaffen, eine

Organisation, in deren Bereich sich mehr als 97 % der 500 größten Unternehmen der Welt

befinden. Es ist daher kein Wunder, dass das MAI ein einseitiges Werk geworden ist, mit

einer gravierenden Benachteiligung von Empfängerländern und massiver Einschränkung

ihrer Handlungsmöglichkeiten. Ein reiches Empfängerland hat noch immer Möglichkeiten,

sich gegen Bevormundung zu wehren, aber ein Entwicklungsland wäre einer neuen,

unsichtbaren Art von Unterdrückung ausgeliefert.

 

Subtile Kolonisierung

 

Das MAI, einmal in Kraft gesetzt, ließe sich auch als eine subtile Art

von Kolonisierung sehen, diesmal nicht durch Staaten, sondern durch das Konglomerat

transnational handelnder Firmen, die dadurch mehr aus den Empfängerländern herausholen,

als ihnen fairerweise zustehen würde.

 

Die Proteste, die sich seit April 1997 deutlich und eindruckvoll

äußerten, führten dazu, dass das MAI auf Eis gelegt wurde. Frankreich hat sich ganz

zurückgezogen. Die Verhandlungen innerhalb der OECD wurden abgebrochen. Frankreich,

England und auch die EU schlugen jedoch bereits die Aufnahme von Verhandlungen zum selben

Thema bei der Welthandelsorganisation (WTO) vor, wo es nicht MAI, sondern MIA für

multilaterales Investitionsabkommen heißt. Es sei nur ein Klon, meinen die MAI-Gegner,

und warnen vor der Arroganz der Macht des Stärkeren.


Der entschlossene

Widerstand gegen das MAI in vielen Ländern hat zu einem vorläufigen Erfolg geführt,

doch die, die hinter dem MAI stehen, werden in ihren Bemühungen, die Rechte weltweit

agierender Konzerne denen gewählter Regierungen gleichzusetzen, nicht nachlassen. Es gilt

daher, auch wenn das Abkommen auf dem Abstellgleis zu stehen scheint, zukünftige

Verhandlungen aufmerksam zu beobachten. Auch wird interessant sein, wie sich die

rot-grüne Regierung in Deutschland verhält, und ob sich genügend Parlamentarier finden,

die darauf dringen, dass neue Gespräche nicht abermals im Geheimen geführt werden.