Buchbesprechung: Das Imperium der Schande

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Beschreibung

Liebe Freunde,

Hier das bewegende
Interview mit Jean Ziegler
zu
seinem neuen Buch “Das Imperium der Schande”.

Henner Ritter


"Ein Kind, das
heute verhungert, wird ermordet."

Der
Schweizer Soziologe und UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung,
Jean Ziegler, ruft zum Aufstand gegen die Weltherrschaft der Konzerne auf und
plädiert für eine Auflösung von WTO und IWF
.

Erweiterte Version des Interviews aus der
Germanwatch-Zeitung 4/2005 (die mit * markierten Fragen sind an dieser Stelle
zusätzlich dokumentiert
)

Herr Professor Ziegler, in Ihrem neuen
Buch "Das Imperium der Schande" sprechen Sie von einer Refeudalisierung der
Welt. Was meinen Sie damit
?

In den letzten Jahrzehnten sind auf der
Erde unglaubliche Reichtümer entstanden, der Welthandel hat sich in den letzten
12 Jahren mehr als verdreifacht, das Welt-Bruttosozialprodukt fast verdoppelt.
Zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit ist der objektive Mangel besiegt
und die Utopie des gemeinsamen Glückes wäre materiell möglich. Und gerade jetzt
findet eine brutale, massive Refeudalisierung statt. Die neuen Kolonialherren,
die multinationalen Konzerne – ich nenne sie Kosmokraten – eignen sich die
Reichtümer der Welt an. Diese neue Feudalherrschaft ist 1000 Mal brutaler als
die aristokratische zu Zeiten der Französischen Revolution.

Wie
funktioniert diese Feudalherrschaft im 21. Jahrhundert?

Die
Legitimationstheorie der Konzerne ist der Konsensus von Washington. Danach muss
weltweit eine vollständige Liberalisierung stattfinden: Alle Güter, alles
Kapital und die Dienstleistungsströme in jedem Lebensbereich müssen vollständig
privatisiert werden. Nach diesem Konsensus gibt es keine öffentlichen Güter wie
Wasser. Auch die Gene der Menschen, der Tiere und Pflanzen werden in Besitz
genommen und patentiert. Alles wird dem Prinzip der Profitmaximierung
unterworfen. Dabei setzen die Konzerne zwei Massenvernichtungswaffen ein, den
Hunger und die Verschuldung. Das Resultat ist absolut fürchterlich. Die
Hungerzahlen steigen in absoluten Zahlen immer weiter an. Letztes Jahr sind nach
dem Welternährungsbericht jeden Tag 100.000 Menschen an Hunger oder seinen
unmittelbaren Folgen gestorben, alle 5 Sekunden ist ein Kind unter 10 Jahren
verhungert. Und dies, obwohl die Weltlandwirtschaft schon heute – ohne
Gentechnik, etc. – problemlos 12 Milliarden Menschen ernähren könnte, wie
derselbe Bericht feststellt. D.h., es gibt keinerlei Fatalität für die
Massenzerstörung der Welt. Ein Kind, das heute an Hunger stirbt, wird
ermordet
.

Was muss passieren, um diese mörderische Entwicklung zu
stoppen?

Zuerst muss die theoretische Legitimation dieses Systems,
der Konsensus von Washington, die Ökonomisierung der Natur, diese Wahnidee muss
zerstört werden. Dann muss der Aufstand des Gewissens, ein Sozialaufstand, gegen
die kosmokratische Minderheit, die die Welt beherrscht, organisiert und
durchgesetzt werden. Denn diese kannibalische Weltordnung von heute ist das Ende
sämtlicher Werte und Institutionen der Aufklärung, unter denen wir bisher gelebt
haben, das Ende der Grundwerte, der Menschenrechte. Entweder wird die
strukturelle Gewalt der Konzerne gebrochen. Oder die Demokratie, diese
Zivilisation, wie sie heute in den 111 Artikeln der UNO-Charta oder im Deutschen
Grundgesetz fixiert ist, ist vorbei und der Dschungel kommt. Es ist eine
Existenzfrage.

Sie plädieren also für einen weltweiten Aufstand gegen
die Macht der Konzerne. Sehen Sie dafür Ansätze?

Es gibt heute drei
historische Kräfte, die zu mobilisieren sind: Die Utopie, die Scham und die
Schande. Die Utopie, dass die Schaffung des gemeinsamen Glücks heute möglich
ist. Die Scham, die eine Mutter in Nordostbrasilien empfindet, wenn sie Steine
kocht, damit ihre Kinder beim Kochgeräusch einschlafen können, obwohl es wieder
nichts zu essen gibt. Und die Schande, die wir empfinden, wenn wir mit ansehen
müssen, wie Menschen gefoltert werden oder verhungern. Diese Macht der Schande
muss mobilisiert werden bei uns, die wir die stillen Komplizen dieser
mörderischen Weltordnung sind.

Können Sie ein Beispiel für die Macht
der Schande nennen?*

Aus Nordkorea fliehen immer mehr Menschen vor
dem Hungertod, dem seit 17 Jahren schon 12% der Bevölkerung zum Opfer gefallen
sind, ins benachbarte China. Seit 2002 macht die chinesische Geheimpolizei Jagd
auf diese Hungerflüchtlinge und schiebt sie nach Pjöngjang ab. Dort werden die
Männer meist erschossen, die Kinder und Frauen verschwinden in
Konzentrationslagern. Als ich dies 2003 in meinem Bericht vor den Vereinten
Nationen schildern wollte, kam zwei Minuten vor Beginn der Rede der chinesische
Botschafter auf Knien zu meinem Platz auf der Tribüne, damit man ihn vom Saal
aus nicht sieht. Er beschwor mich aufgeregt, diesen Punkt auf meiner Redeliste
nicht zu erwähnen. Das ist die Macht der Schande. Ich habe natürlich trotzdem
geredet. Seitdem sind Reisen nach China für mich nicht mehr
empfehlenswert.

Wie wollen die Vereinten Nationen erreichen, dass
Konzerne weltweit die Menschenrechte einhalten?*

Dazu gibt es sehr
unterschiedliche Ansätze, unter anderem den Global Compact, der auf
Freiwilligkeit setzt und von dem ich nicht viel halte. Dagegen finde ich die
verbindlichen UN-Normen für Unternehmen, die die Unterkommission des
Menschenrechtsausschusses ausgearbeitet hat, ausgezeichnet. Hier sollte die
Zivilgesellschaft und gerade auch die deutschen NGOs, aber auch der deutsche
Botschafter, Druck machen, damit diese Normen jetzt auch umgesetzt werden.
Vielversprechend finde ich auch den Beschluss der 61. Sitzung der
Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen: Von jetzt an sollen
Menschenrechte – die zivilen und politischen ebenso wie die sozialen,
ökologischen und kulturellen – nicht nur für den Staat gelten, sondern auch für
das neue historische Subjekt, die nichtstaatlichen Akteure, die multinationalen
Konzerne. Wenn diese Resolution Völkerrecht wird, dann hätte die Bundesrepublik
Deutschland eine sogenannte internationale Menschenrechtsobligation. Sie wäre
verantwortlich dafür, dass Konzerne, die ihr Hauptquartier auf deutschem
Territorium haben, die Menschenrechte weltweit respektieren. Das ist technisch
ohne weiteres durchführbar. Es könnte beispielsweise ohne großen Aufwand ein
Inspektorenkorps in Berlin geschaffen werden, das die Einhaltung der
Menschenrechte bei deutschen Konzernen im Ausland nachprüft und Sanktionen
verhängt, wenn Verletzungen vorliegen.

Was kann der Einzelne
tun? Kann er dazu beitragen, die strukturelle Gewalt der Konzerne zu
brechen?

Wer in einer Demokratie lebt, insbesondere einer westlichen,
kann alles tun, um diese mörderische Weltordnung zu brechen. Ein Beispiel: Die
Schuldknechtschaft der Dritten Welt, d.h. die Strukturanpassungsprogramme, etc.,
wird verwaltet vom IWF, dem Internationalen Währungsfonds. Bei den
halbjährlichen Generalversammlungen des IWF in Washington ist auch der deutsche
Finanzminister dabei. Er hat großen Einfluss, denn Deutschland ist die
drittgrößte Wirtschaftsmacht des Planeten. Brasilien hat nach der Statistik der
Regierung 44 Millionen schwerst permanent unterernährte Menschen, knapp ein
Viertel der Einwohner, obwohl es ein reiches Land ist. Aber aus 18 Jahren
Militärdiktatur und von fünf neoliberalen Präsidenten hat der jetzige Präsident
Lula, von dem ich sehr viel halte, einen Berg von Auslandsschulden von 242
Milliarden Dollar geerbt. Diese Auslandsschulden verschlingen einen großen Teil
der mit Exporten gewonnenen Devisen. Damit hat er objektiv keine Möglichkeit,
sein Programm "Fome Zero" gegen den Hunger im Land zu finanzieren. Seit zwei
Jahren versucht er deswegen mit dem IWF über ein Moratorium der Schulden zu
verhandeln und stößt dabei auf eine Betonwand. Die deutsche Öffentlichkeit, die
Presse, die Parlamentarischen Institutionen, jeder Bürger mit seinem Wahlzettel
könnte dem deutschen Finanzminister sagen: Wir wollen, dass Du beim IWF für das
Schuldenmoratorium Brasiliens stimmst, weil wir nicht wollen, dass
brasilianische Kinder weiter an schwerster Unterernährung leiden. Das geht! In
der Demokratie sind die Mittel vorhanden, um diese Weltordnung umzustoßen und
die Menschenrechte durchzusetzen.

Welche Rolle spielen die
Welthandelsorganisation WTO und der IWF in dieser Ordnung?

Leider
sind WTO und IWF die zwei entscheidenden Organisationen für die
Nord-Süd-Beziehungen, die UN haben da nicht viel mitzureden. Bei beiden wird der
neoliberale Konsensus von Washington dogmatisch durchgesetzt. Beide sind willige
Helfer der Kosmokraten, sie müssen aufgelöst werden.

Sie glauben auch
nicht, dass WTO, und IWF reformierbar wären?

Nein, das sind
menschenzerstörende Organisationen. Menschen sterben jeden Tag wegen dieser
Politik. Im Niger beispielsweise stehen heute 3,6 Millionen Menschen am Abgrund.
Der IWF hat die Bildung von Lebensmittelreserven letztes Jahr verhindert. Er hat
dafür gesorgt, dass das größte Transportunternehmen des Landes privatisiert
wird, ebenso wie das nationale Veterinäramt. Jetzt gibt es keine Impfstoffe mehr
für das Vieh. Und jetzt hat der IWF auch noch verboten, dass Hirse gratis
verteilt wird, auch von der UNO oder von NGOs, weil dies marktverzerrend sei.
Das ist eine absolut mörderische Politik.

Wie sollte der Welthandel
Ihrer Meinung nach geregelt werden?

Ich bin für gerechte
Welthandelsregeln, die die Interessen beider Partner in jeder Phase
berücksichtigen: frei ausgehandelt, ohne Zwang, nach den Prinzipien von Fairness
und Transparenz. Das ist bei der WTO nicht der Fall: Die EU, USA, Kanada,
Australien und Japan diktieren den Verhandlungsprozess. Sie haben eine totale
Erpressungsmacht, weil sie 81% des Welthandels kontrollieren. Und sie können
Mehrheitsentscheidungen blockieren, da alle Entscheidungen nur einstimmig von
allen WTO-Mitgliedern getroffen werden. Diese so genannte Konsensregel ist eine
reine Lüge: Sie nützt den Reichen, die einen Konsens mit wirtschaftlichen
Versprechungen oder Drohungen erzwingen können. Zudem haben viele ärmere Länder
gar nicht die Möglichkeit, an den langwierigen Verhandlungen ständig
teilzunehmen – oft sind sie über wichtige Entscheidungen nicht informiert.
Beispielsweise haben 18 afrikanische Länder gar keine Botschaft bei der WTO in
Genf, weil sie es sich nicht leisten können. Ich bin für Welthandelsregeln, aber
nicht für diese. Das sind diskriminierende, intransparente
Erpressungsmechanismen.

Was gäbe es für Alternativen zur
WTO?

Ein wichtiges Gegengewicht zur WTO ist schon jetzt die UNCTAD
(UN-Konferenz für Handel und Entwicklung), sie arbeitet viel mit der
Zivilgesellschaft zusammen. Eine neue Organisation zur Regelung des Welthandels
sollte auf jeden Fall unter dem Dach der UNO angesiedelt werden, was ja bei der
WTO nicht der Fall ist.

Was erwarten Sie vom WTO-Gipfel in
Hongkong?

Nicht viel. Wenn die Positionen der Industrieländer vom
WTO-Gipfel 2003 in Cancun sich nicht verändern, dann wird es kein Abkommen
geben. Ein Streitpunkt wird wieder die Baumwolle sein. Bush wird die 600
amerikanischen Baumwollproduzenten weiter mit 5 Milliarden Dollar jährlich
subventionieren. Die Baumwollpreise werden zusammenbrechen. Es wird darüber
diskutiert, den fünf westafrikanischen Ländern, die völlig von der
Baumwollproduktion abhängig sind – Burkina Faso, Benin, Mali, Niger, Senegal –
deswegen finanzielle Kompensationen zu zahlen. Das wäre ein Bruch mit der reinen
Marktlogik der WTO, zum ersten Mal hätte eine normative Dimension
eingesetzt.

Die USA sind wegen der Baumwollsubventionen von der WTO
verurteilt worden. Gibt es keine Sanktionsmöglichkeiten?

Ja, aber sie
sind nicht effektiv. Kleine Länder wie Burkina Faso oder Senegal haben keine
Chance. Sie könnten zwar bei einer Verurteilung der USA ein Importstopp für
amerikanische Baumwolle verhängen, aber das würde die Amerikaner nicht stören.
Würden dagegen die USA ein Importstopp für Baumwolle aus Westafrika verhängen,
wäre das der Ruin für die Region. Das ist eines der vielen Probleme der WTO,
dass in der Realität nur die großen Länder effektive Sanktionen durchsetzen
können.

Viele Menschen aus dem armen Teil der Welt versuchen in eine
der Wohlstandsoasen wie die Europäische Union zu gelangen. Was kann die EU da
tun?

Die EU müsste dringend ihre Export-und Produktionssubventionen
in der Landwirtschaft abschaffen. Alle Industrieländer zusammen haben letztes
Jahr für Produktions- und Exportsubventionen landwirtschaftlicher Güter 349
Milliarden US-Dollar ausgegeben – fast 1 Milliarde Dollar am Tag! Die Zerstörung
der lokalen Märkte in Entwicklungsländern durch Billigexporte aus der EU ist ein
schon lange bekannter Skandal. Auf dem Markt in Dakar im Senegal können Sie
europäisches Gemüse aus Frankreich, Portugal oder Spanien zu einem Drittel des
einheimischen Preises kaufen. Die senegalesischen Bauern rackern sich 16 Stunden
unter brennender Sonne ab. Auf dem Markt entdecken sie dann das Dumpinggemüse
der EU. Sie haben keine Chance.

Es gibt Menschen, die sagen, dass
alles wüssten wir doch schon seit Jahren, und es ändere sich trotzdem
nichts.

Das stimmt nicht, das Bewusstsein weltweit steigt. Auch in
der WTO selber haben die Kritik und die Forschungsarbeit von Organisationen wie
Germanwatch Wirkung gezeigt. Es kommen Zweifel auf. Beim WTO-Gipfel in Cancun
hat eine neue, erfolgreiche Symbiose stattgefunden zwischen Zivilgesellschaft
und den Delegationen der Entwicklungsländer. Pascal Lamy, der Generaldirektor
der WTO, hat dies gemerkt und sucht jetzt den direkten Dialog mit den NGOs. Die
Zivilgesellschaft ist stark in Deutschland und der Welt.

Das
Gespräch führte Ralf Willinger

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Jean Ziegler „Das Imperium der
Schande“

"Um die Menschen zu lieben, muss man
sehr stark das hassen, was sie unterdrückt."
Jean Paul Sartre

Auf seinen
Exkursionen im Auftrag der Vereinten Nationen konnte sich Jean Ziegler vor Ort
ein Bild von den Lebensbedingungen der Betroffenen machen, was die Schilderungen
in diesem Buch konkret und eindringlich macht.

Den Stein
des Anstoßes für den Kampf gegen den Hunger gab Ziegler ein Empfang im Kongo:
Durch die Fenster des Luxushotels konnte er allabendlich die hungernden Kinder
vorbeiziehen sehen, die versuchten eine bewachte Barrikade zu erreichen, um zu
den Weißen, die in einer Enklave hinter der Bewachung leben, vorzudringen.
Wenige Meter weiter brachen sie zusammen, blieben kraftlos in den
Stacheldrahtzäunen hängen und manche starben. Zu diesem Zeitpunkt schwor sich
Jean Ziegler, nie mehr, auch nicht zufällig, auf der Seite der Henker zu stehen.
Daraus entstanden ist ein unermüdlicher Kampf gegen die Mächte der
globalisierten Welt, namentlich Weltbank, IWF, WTO und transnationale Konzerne.

Der Autor
legt unbequeme Wahrheiten offen, die von den Profiteuren gern verschwiegen
werden. Detaillierte Informationen und Hintergründe zu den politischen,
ökonomischen und sozialen Machtverhältnissen der Dritten Welt zeigen, wie sich
das Herrschaftssystem, ein Konglomerat aus Politik und Wirtschaft, zu einem
"Imperium der Schande" entwickelt hat. Auch in den reichen Ländern der
westlichen Welt, deren Wohlstand und staatliche Gefüge immer mehr gefährdet
sind, ist diese Entwicklung zu beobachten. Die gängigen Methoden der Konzerne
Nestlè und Siemens werden beschrieben und finden Nachahmer in der Welt. In
Europa setzt sich die bewährte Taktik Arbeitnehmer, Gewerkschaften und Staaten
mit dem Druckmittel der Abwanderung zu erpressen, immer mehr durch. Demzufolge
verlängern sich die Arbeitszeiten ohne Lohnausgleich. Die Gewerkschaften
akzeptieren die Forderungen, weil sie, wenn auch nur vorrübergehend,
Arbeitsplätze erhalten wollen. Regierungen sind mit der Industrie eng verbunden,
was ihre Entscheidungsfähigkeit stark begrenzt und ihre Unabhängigkeit
entschieden einschränkt.

Durch das
Monopoly, das die multinationalen Konzerne spielen, entsteht eine neue
konzentrierte Macht, die unsere Demokratie massiv gefährdet. Multinationale
Konzerne steigern skrupellos ihre Gewinne, zahlen astronomische Managergehälter
und schütten steigende Dividenden aus, aber entziehen sich jeder
sozialpolitischen Verantwortung. Ihre einzige Handlungs-Maxime heißt
Profitmaximierung. Eine neue Macht hat sich neben den staatlichen Institutionen
etabliert. Jean Ziegler zeigt auf mit welchen Mitteln und Methoden transnational
operierende Konzerne sich die Welt aneignen und zielsicher ihre Macht über den
Globus ausdehnen. Der Werdegang US-amerikanischer Entscheidungsträger, bevor sie
in Washington aufstiegen, wie Condoleezza Rice, Donald Rumsfeld und Dick Cheney,
zeigen deutlich, dass der Irak-Krieg die direkte Umsetzung der Konzernstrategie
der Ölgesellschaften ist.

"Ich möchte mit diesem Buch den
wirklichen Horizont der Geschichte zeigen, die große Periode der Aufklärung, die
die Menschenrechte postulierte, von denen viele ihrer Verwirklichung harren –
das Recht auf Leben, auf Freiheit, auf Würde, aber nicht zuletzt auch das in der
Präambel der Unabhängigkeitserklärung der USA fixierte Recht auf das Streben
nach Glück. Im 18. Jahrhundert war das pure Utopie, doch heute verfügt die
Menschheit auch über die materiellen Mittel, diese Rechte zu verwirklichen. Doch
zugleich haben Hunger und Elend heute ein schrecklicheres Ausmaß angenommen als
in jeder anderen Epoche der Menschheit".
(Zitat Jean Ziegler –
siehe www.attac.de).

Korruption,
Ausbeutung und Verelendung sind bittere Realität für die Menschen der Dritten
Welt. Ihre Menschenrechte werden mit Füßen getreten und ihre Lebenssituation ist
geprägt durch Aussichtslosigkeit, da die Staaten auf Gedeih und Verderb den
Strukturanpassungsprogrammen von IWF und Weltbank ausgeliefert sind.
Skrupellose, korrupte Diktatoren und Generäle, die in der Vergangenheit über die
Aufnahme von Staatskrediten entschieden haben, tragen eine immense Schuld an
diesem Elend. Sie haben die exorbitanten Schuldenberge während ihrer Amtszeit
angehäuft. Die Aufnahme immer neuer Kredite zur Finanzierung der Schulden und
aufgelaufenen Zinsen führen in eine volkswirtschaftliche und soziale
Abwärtsspirale. Die Staaten sind aufgrund der Verbindlichkeiten paralysiert und
nicht mehr in der Lage ihren Verpflichtungen der Bevölkerung gegenüber gerecht
zu werden. Die zutiefst verschuldeten Länder sind nun gezwungen profitable
staatliche Bereiche zu privatisieren und ihre Märkte für transnational agierende
Konzerne zu öffnen, die nur noch ihren Gewinninteressen verpflichtet sind.
Dadurch geraten die Schuldnerländer in einen unentrinnbaren Teufelskreis aus
Verarmung und Verschuldung. Die Menschen der Dritten Welt arbeiten unter
unwürdigen Bedingungen, weil die Kosmokraten der Konzerne, das Ziel niedriger
Produktionskosten sowie niedriger Löhne und die Beseitigung sozialer Hindernisse
verfolgen. Auf diese Weise werden die betroffenen Staaten in einen Sog
privatwirtschaftlicher und wirtschaftlicher Interessen gezogen, was für die
Menschen und das betroffene Land zwangsläufig zu einer unaufhaltsamen Talfahrt
führt.
Jean Ziegler beschreibt warum die Konzerne die eigentlichen Herrscher
der ausgebeuteten Staaten sind und wie sie langsam die staatliche Ordnung
übernehmen, wie die Schuldenberge die Länder lähmen und das Etablieren einer
funktionierenden Infrastruktur und eines dringend notwendigen Sozialsystems
unmöglich gemacht werden.
Die Einschätzung und das Verhalten des Managements

in Bezug auf ihre eigenen Leistungen und Entlohnungen haben geradezu autistische
Züge . Es scheint sich eine Abtrennung des Managements von der übrigen
Belegschaft vollzogen zu haben. Mit der Präsenz der Kosmokraten in Aufsichtsrat
und Vorstand gleichermaßen, können sie ihre erteilten Handlungen selbst
kontrollieren. Der 1999 in Davos einstimmig verabschiedete Global Compact, der
zwischen den Vereinten Nationen und transnationalen Konzernen geschlossen wurde,
ist ein typisches Beispiel für "gut gemeint". Mit dem Global Compact wird
Kontrolle Ad absurdum geführt. Die Entwicklung des Global Compacts mit seiner
festgeschriebenen freiwilligen Selbstkontrolle der Konzerne in sozialer,
umweltpolitischer und arbeitsrechtlicher Hinsicht ist ein Persilschein für die
Kosmokraten.

Sehr
Aufschlussreich ist die Erläuterung zum System der Lizenzgebühren, welche für
die Produkte international agierender Konzerne anfallen. Gebühren für Patente
verschwinden in Steueroasen, vorbei an den Staaten, in welchen die Konzerne
tätig sind. Damit werden dem Leser tiefe Einblicke in die den Globus
umspannenden finanziellen Handlungsspielräume der Industrie gewährt.
Die
Kontrolle der Welt liegt in der Hand einiger weniger Giganten, die in ständiger
Konkurrenz zueinander den Weltmarkt bestimmen. Den Weltmarkt für Saatgut,
Schädlingsbekämpfungsmittel und pharmazeutische Produkte haben sich die
Marktführer aufgeteilt. Die Oligarchen spielen ihre Macht aus, ohne jegliche
öffentliche Kontrolle. Keine wirtschaftliche Handlung wird dem Zufall
überlassen. Spionage und Infiltration von Institutionen, Observierung von
Mitarbeitern sind gängige Mittel um kein Risiko einzugehen und die Ziele
erfolgreich durchzusetzen. Gewandte Bürokratien lassen sich auf allen
Kontinenten nieder und arbeiten im Auftrag der Kosmokraten. Die Hintergründe und
geschickten juristischen Schachzüge von Unternehmen wie Union Carbide oder
Monsanto zeigen die Überlegenheit und Einflussmöglichkeiten auf welche Weise
sich Konzerne mit Hilfe politischer Verbindungen ihrer sozialen und ethischen
Verantwortung entziehen können.

Anhand
einiger Beispiele aus der Mongolei, Brasilien und Äthiopien werden die Folgen
dieser Konzentration der Macht ohne staatliche Kontrolle deutlich
veranschaulicht:

Die
Mongolei

Bestürzend
beschreibt Jean Ziegler die Lebensbedingungen der mongolischen Stadt Ulan-Bator,
die vor fünfzig Jahren im sowjetischen Baustil errichtet wurde. Ein riesiges
Werk versorgt die Stadt mit Strom und warmem Wasser. In unterirdischen Tunneln
verlaufen Rohre für das Heiz- und Warmwassersystem. Diese Tunnel sind
Zufluchtsort verlassener Kinder, die dort im Winter untertauchen um sich vor der
Kälte schützen. Tagsüber wühlen die Kinder in Mülltonnen nach etwas Essbarem.
Die Böden der Tunnel sind mit Exkrementen bedeckt und die Kinder teilen sich mit
Ratten ihren Lebensraum. Sie sind der Gewalt, die innerhalb ihrer Familien
aufgrund von Arbeitslosigkeit und Alkohol herrscht, entflohen. Ihre Körper sind
gezeichnet von Misshandlung und Unterernährung. Auch die Beschreibung der
Gegebenheiten der mongolischen Nomaden zeichnet ein deprimierendes Bild. Die
Lebensgrundlage der Nomaden, Schafe, Kamele und Ziegen werden von der Maul- und
Klauenseuche befallen. Die Veterinärdienste verfügen nicht mehr über ausreichend
Medikamente um den Bauern zu helfen. Ebenso aussichtslos sind die Schilderungen
über die Auswirkungen der Heuschreckenplage im Sommer 2003. Der mongolische
Staat wird vom Schuldendienst erdrückt. Das nimmt dem Land jede Möglichkeit für
seine Bürger zu sorgen und eine funktionierende Infrastruktur aufzubauen.

Äthiopien

Ein
erheblicher Teil der Äthiopier kann weder lesen noch schreiben und der Zugang zu
medizinischer Versorgung ist vielen Menschen versagt. Addis-Abeba, einst Sitz
der Herrscher, ist zu einem Moloch verkommen, in dem sich Elendsviertel
aneinander reihen und Bettler das Straßenbild bestimmen. Die Familienstrukturen
und Zusammenschlüsse in Vereinen, die überlebensnotwendig sind, geben einen
Einblick in die äthiopische Kultur.
Obwohl Äthiopien über fruchtbares Land
verfügt, steigen Armut und Hunger ständig an. Als eine Ursache nennt Jean
Ziegler den Zusammenbruch des Kaffeepreises. Der Weltmarkt wird von einer
handvoll transkontinentaler Konzerne beherrscht, allen voran von Nestlé. Auf dem
Kaffeemarkt herrscht das Recht des Stärkeren, aufgrund von Fusionen geht das
Monopolyspiel der Konzerne auf höherer Ebene weiter. Die Gewinne der Giganten
explodieren, während die Preise für die Kaffeebauern in den Keller sinken.
Interessant in diesem Zusammenhang sind auch die Lösungen von Hans Joehr, Leiter
der Abteilung Landwirtschaft von Nestlé, er schlägt vor, dass von den 25
Millionen Kaffeebauern mindestens 10 Millionen vom Markt verschwinden müssen,
damit der Markt saniert werden kann. Die Entscheidungsträger der Konzerne halten
die wirtschaftliche Entwicklung für Naturgesetze des Marktes, die sie nicht
ändern können. Ihnen ist jegliches Verantwortungsgefühl abhanden gekommen. Diese
Aussage zeigt deutlich mit welcher Ignoranz, Abgebrühtheit und Zynismus
Vertreter der Wirtschaft dem Leid der Menschen gegenüber treten. In Äthiopien
beträgt der Schuldendienst 140 Millionen Dollar und liegt damit höher als die
gesamten Ausgaben des Landes für Gesundheit.

»Die Freiheit ist ein eitles
Hirngespinst, wenn eine Klasse von Menschen die andere ungestraft aushungern
kann.«

Zitat Jacques Roux

Jean
Ziegler hält diese Aussage von Jacques Roux, die er dem französischen Konvent
entgegen rief, für aktueller denn je. Weil in Argentinien, Brasilien und anderen
Ländern Südamerikas trotz Demokratie der Hunger zunimmt. Das bedeutet für ihn,
dass Demokratie und politische Menschenrechte keinesfalls falsch sind, sondern
dass sie vollkommen ungenügend verwirklicht sind. Aus diesem Grund hält er den
Kampf um wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte für unverzichtbar.

Brasilien

Für den
Autor ist der jetzige Präsident von Brasilen Luiz Inácio Lula de Salva, ein
Hoffnungsträger. Lula, selbst in ärmsten Verhältnissen aufgewachsen, ist mit den
Nöten der Bevölkerung aus eigener Erfahrung vertraut. Er hat in der
Vergangenheit für die Rechte der Arbeitnehmer gekämpft und war gewerkschaftlich
organisiert. Oft musste er um sein Leben fürchten. Viele seine Weggefährten
ließen ihr Leben für den Kampf der Arbeitnehmerrechte. Jean Ziegler beschreibt
seine interessante und schmerzhafte Lebensgeschichte. Zutiefst geprägt durch
seine Erfahrungen und ausgestattet mit einem Sinn für Gerechtigkeit möchte Lula
sein Land verändern. Langsam entwickelt Brasilien Selbstbewusstsein und beginnt
unter seinem neuen Präsidenten Widerstand zu leisten. Das Projekt, dass Hunger
und Elend des Volkes besiegen und die Macht der Konzerne zurückdrängen soll,
trägt den Namen Programa Fome zero (und wird paradoxer Weise von Nestlé
unterstützt). Jean Ziegler beschreibt die Hintergründe und Maßnahmen des
Projekts, das Erfolg versprechend ist.

Die
Beschreibung der katastrophalen Zustände in den favelas und dem täglichen
Überlebenskampf der Menschen, die Rattenplagen ausgesetzt sind, ohne sauberes
Trinkwasser und ohne Kanalisation leben müssen, zeigen ein grausames Bild der
Lebensbedingungen.
Was die Arbeit von Präsident Lula erschwert und eine kaum
überwindbare Hürde ist, sind die von der Militärdiktatur geerbte Auslandsschuld
von über 242 Milliarden Dollar. Der Schuldendienst verhindert den Kampf gegen
den Hunger. In der Arbeiterpartei gärt es bereits. Jean Ziegler sagt: "Lula befindet sich in einer unmöglichen, schwierigen
Situation, er braucht unsere Solidarität".

Mit dem Buch möchte
der Autor die internationale Solidarität der Völker, insbesondere die der
Europäer mobilisieren:

"Es kommt nicht darauf an, den
Menschen der Dritten Welt mehr zu geben, sondern ihnen weniger zu
stehlen".

In vielen
Ländern der Dritten Welt sind Getreideproduktionen überschüssig und verfaulen.
Sie können mangels Transportmittel und aufgrund fehlender Infrastruktur, nicht
zu den bedürftigen Menschen gebracht werden, sie verhungern. Vielerorts führen
verschmutztes Trinkwasser und Unterernährung zu Krankheiten wie Tuberkulose,
Typhus. Aufgrund der Sicherheitspolitik zur Bekämpfung des sogenannten
Terrorismus waren die westlichen Staaten nicht bereit dem Spendenaufruf des WFP
(Welternährungsprogramm) gegen den Hunger in der Dritten Welt zu folgen. Der
Kampf gegen den Terrorismus hat erste Priorität, der Kampf gegen Hunger verhallt
im Nichts.

Die Refeudalisierung der
Welt

Teil IV des
Buches handelt von der "Refeudalisierung der Welt", womit der Zusammenbruch des
internationalen Rechts und die Ausgrenzung sozialer Gruppen gemeint ist und ein
Entrinnen für die Menschen unter den jetzigen Bedingungen nicht möglich scheint.
Jean Ziegler fordert das Menschenrecht auf Glück ein, welches in der
US-Amerikanischen Verfassung verankert ist. Die Vereinten Nationen, eine
Instanz, in die nach dem Zweiten Weltkrieg viel Hoffnung gelegt wurde, verfügen
aber nur über sehr begrenzte Macht. So besteht wenig Aussicht die Verhältnisse
ändern zu können. Jean Ziegler hält die Scham für eine revolutionäre Kraft und
hofft, dass das Gefühl der Schande angesichts von Hunger und Armut auf der Welt
zu einer Macht der Veränderung werden kann.

Mein Buch möchte eine Waffe sein in
diesem Kampf. In meinem Genfer Büro hängt ein Foto. Es zeigt Bertolt Brecht, auf
einer Berliner Parkbank sitzend, ein Buch in der Hand. Darunter steht »Bertolt
Brecht – bewaffnet.«

Es wird in
diesem Buch deutlich, dass wir in der so genannten Ersten Welt, langsam aber
kontinuierlich den Verhältnissen in der Dritten Welt annähern und wenn sich die
Macht der transnationalen Konzerne mit ihren Gehilfen aus der Politik weiter
über den Globus ausdehnen kann, wird unsere Demokratie untergraben, die
Mitbestimmung immer weiter abgebaut, die Staaten erpressbar und die Bürger sind,
egal in welchem Land auf der Welt, der Hegemonie der Konzerne hilflos
ausgesetzt.

Das Buch
„Das Imperium der Schande“ ist äußerst lesenswert,
Preis 19.90 Euro